24.4.2022

Daniel Osterwalder

Ins Leben kommen - Jahreskreisrituale

Der Natur und uns auf der Spur

Was sich im Winter vorbereitet, beginnt nun, da es endlich auch regnet, so richtig zu spriessen. Wolfsmilch erblüht, Buchenblättchen entfalten sich und es rumort so richtig im Wald. Es ist wirklich, wirklich Frühling. Ein Grund mehr, dies in Form eines Jahreskreisrituals zu feiern.

Leben

In einem schmalen Bändchen von knapp 40 Seiten geht Robin Wall Kimmerer auf eine ganz besondere Grammatik ein. Auf die Grammatik der Lebendigkeit. In einem einführenden Essay schreibt sie zudem über Dankbarkeit und warum uns diese erleichtert, insbesondere in unserem Zusammenleben mit anderen Lebewesen und Systemwelten.

Gerne will ich dies hier auf den Kopf stellen und mit Lebendigkeit und Leben beginnen, um danach auf die Bedeutung der Dankbarkeit zu sprechen zu kommen. Und letztlich können wir uns der Lebendigkeit auch damit nähern, dass wir im Zyklus des Jahres die Jahreskreisfeste feiern. So wie wir das dann am 1. Mai auch tun.

Grammatik der Lebendigkeit

In der NZZ am Sonntag vom 17. April 2022 stellt Georg Humbel folgendes fest: «Eine Hochleistungshenne legt bis 330 Eier pro Jahr. Die neuen Coffee und Cream Hühner schaffen es gerade einmal auf 230 Stück. Darum braucht es gegen 200000 zusätzliche Legehennen, allein, um die heutige Menge Bio-Eier mit diesen Tieren zu produzieren.» Nicht genug mit dieser Art zynischer Vernunft(Sloterdjick). Der Autor bringt die Hühner, deren Eier respektive die wir selbst später fressen, in direkte Konkurrenz zu uns -: Weil Hühner kaum Gras fressen, sondern wie wir auch Soja und andere Eiweisslieferanten, fressen sie uns unser Eiweiss weg. Die hier aufscheinende Denke reduziert Lebewesen  wie Hühner auf «Zweinutzungshühner» (Ei, Fleisch), auf Objekte, die wir zu unserem Nutzen produzieren und damit auf Objekte, mit denen wir auf keine Art und Weise in eine lebendige Beziehung uns stellen müssen, da wir sie ja einzig und allein deswegen produzieren, damit sie uns zu Nutzen sein können. Für die Beziehung haben wir dann die Haustiere, die anders als die Nutztiere der Beziehungspflege dienen.

Tiere, Pflanzen, Seen und viele andere als Subjekte

Die eingangs erwähnte Robin Wall Kimmerer fragt stattdessen, warum wir Tiere, Pflanzen, Wind, Wald, Berge oder Seen als »it« bezeichnen und die Menschen als »he« oder »she« und zeigt, dass in ihrer Sprache, der Sprache der indigenen Potawatomi die Lebendigkeit einen ganz anderen Stellenwert hat. So schreibt sie:

"Es gibt Wörter für Seinszustände, die kein Äquivalent im Englischen haben.... du hörst einen Blauhäher mit einem anderen Verb als du ein Flugzeug hörst, so unterscheiden wir das Lebendige von den bloßen Objekten. Über Vögel, Insekten und Beeren wird in der gleichen respektvollen Grammatik gesprochen wie über Menschen, als gehörten sie alle zur gleichen Familie. Denn wir gehören zusammen. Es gibt kein "Es" in der Natur. Lebewesen werden als Subjekte bezeichnet, nie als Objekte.... ich grüße die stillen Felswesen mit dem gleichen Respekt, mit dem ich die gesprächigen Meisen grüße." (19f)

 

Die Sprachwissenschafterin Kimmerer weiss auch, warum ihre Sprache von den Weissen verboten wurde, weil «die Sprache, die wir sprechen, auf allen Ebenen ein Affront in den Ohren  derer ist, die uns kolonisierten, denn sie stellt die fundamentalen Lehren des westlichen Denkens in Frage - dass nur Menschen Rechte besitzen und der Rest der lebendigen Welt allein zum Nutzen des Menschen da ist." (20)

Mit »it« schaffen wir Distanz und halten wir uns das Leben, das wir brauchen, um zu überleben, vom Leibe, objektivieren es, produzieren es und haben kein Verständnis dafür, was diese Lebewesen tatsächlich brauchen würden. Dadurch stellen wir unsere Bedürfnisse über jene der anderen Lebewesen, womit wir uns losgelöst vom Wohlergehen der Welt begreifen, was letztlich der Grund ist, dass wir die Planetaren Grenzen längst überschritten haben. Kimmerer findet deshalb »Ki«(Singular) und »Kin« (Plural) als stimmige Pronomen zur Bezeichnung von Lebewesen. Interessant daran ist, dass »Kin« auch für Verwandtschaft steht. Es wäre sehrzu wünschen, dass wir gerade in der Landwirtschaft und in der Ernährung diesen Zugang für uns finden könnten. Unser Problem beschreibt Kimmerer nämlich sehr treffend wie folgt:

“Da wir leider nicht die Fähigkeit der Fotosynthese besitzen, müssen wir Menschen Leben nehmen, um selbst zu leben…. Aber wir haben die Wahl, Pflanzen oder Tiere so zu konsumieren, dass wir das Leben, das wir nehmen, ebenso würdigen wie das Leben, das so gedeihen kann. … Wir können essbare Pflanzen und Tiere als Mitgeschöpfe anerkennen und durch Rituale der Gegenseitigkeit Respekt für den feierlichen Austausch des Lebens unter Verwandten zeigen.”

Lebenskreisfeste

Fern von der Debatte, ob wir Menschen von der Biologie oder der Kultur getrieben sind: Wir sind auf jeden Fall Naturwesen. Wie Bäume beispielsweise. Oder Ameisen, Amseln, Blaukelchen oder wie Farne, Pilze und viele andere mehr. Und als Naturwesen haben wir die Fähigkeit, die Natur in und um uns wahrzunehmen. Was in unseren Breitengraden bedeutet, dass wir dieJahreszeiten wahrnehmen können. In uns und um uns herum.

Die Reise durch den Jahreskreis ist dabei zweierlei:

  • Einerseits begeben wir uns an acht Tagen, verteilt über das Jahr in die Natur (Bremgartenwald) und nehmen uns ganz bewusst Zeit dafür, uns auf Natur und Jahreszyklus einzulassen. Die Jahreszeiten, deren Bewegungen und Energien und auch die Übergänge nehmen wir dabei bewusst wahr.
  • Andererseits tauchen wir dabei mittels Ritual und einem kleinen Prozess ein wenig tiefer ein in unsere Beziehung mit uns und mit Welt. Wir stellen uns Fragen danach, wo wir gerade unterwegs sind und auf welche Weise wir im Leben und in der Natur eingebunden sind in einen größeren Verlauf.

  • Eine der Formen, wie dies in die Welt kommt, setzen wir in kleinen Formen um, in Jahreskreisfesten. Das nächste folgt schon bald, am 1. Mai 2022. Wir treffen uns um 7 Uhr morgens an der Halenstrasse 2, Bremgartenwald.
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