28.5.2024

Daniel Osterwalder

Scheitern wie kleine Kinder es tun – eine Einladung

Teil 1

Scheitern ist nicht ohne. Und wir tun uns trotz Fuck-up-Nights und anderen Veranstaltungen schwer damit. Weil wir schon sehr früh lernen, dass Fehler und Scheitern schlecht sind. Und darum lernen wir das Vermeiden, den Umweg und lernen nicht via Versuch und Irrtum. Davon handelt dieser Text.

Von Grundhaltungen und Glaubenssätzen

Trotz „Fuck-up-Nights“ und ähnlichen Veranstaltungen schreibt sich in heutigen Unternehmen und den meisten Organisationen keine*r mit stolzer Brust das Wort „gerade gescheitert“ oder „am Scheitern“ auf die Stirn. Ganz im Gegenteil, am liebsten verbergen wir unsere Fehler, versuchen nur diejenigen Projekte zu thematisieren, welche uns gut gelungen sind und welche ein voller Erfolg waren.

Manchmal tun wir das aus der konkreten Angst heraus, als nicht kompetent angesehen zu werden und in Zukunft nicht mehr die Möglichkeit zu erhalten, ein bedeutendes Projekt durchzuführen. Manchmal sind es vielleicht auch tiefsitzende Prägungen aus der frühen Kindheit, in der es beispielsweise darum ging, „die Extrameile“ zu laufen und sich selbst und andere stetig zu übertreffen. Prägungen, die Wertschätzung und Anerkennung implizit oder explizit mit Leistung und Anstrengung verknüpften.

Die vier Unverzeihlichen

Und auch wenn es in unserer frühen Kindheit noch recht entspannt und wenig leistungsorientiert zuging, so kam spätestens in der Schulzeit die harte Erkenntnis, dass wir für unser SEIN allein nicht wertvoll zu sein scheinen, sondern wegen dem, was wir TUN. Die vier Unverzeihlichen, die viele von uns in der Schule gelernt haben, sprechen Bände. Wir verlassen nämlich die Schule mit u.a. folgenden Glaubenssätzen:

-             Ich kann nicht schreiben.

-             Ich kann nicht rechnen.

-             Ich kann nicht singen.

-             Ich kann nicht zeichnen.

In unseren Visualisierungstrainings treffen wir sehr häufig auf dieses Phänomen. So fragen Teilnehmende im Vorfeld oft: „Kann ich das Training trotzdem besuchen, auch wenn ich nicht zeichnen kann?“ Diese erlernte Grundhaltung oder diese beinahe selbstzerstörerischen Glaubenssätze wirken sich fatal aus: Lieber nicht experimentieren? Lieber nicht skizzierenund mal mit Bildern arbeiten. Lieber nicht mit Text und Bildern etwas zu ergründen versuchen, was nicht so offensichtlich dem Mainstream entspricht. Lieber nicht einfach mal aufschreiben und meinen Ideen eine Gestalt geben, die auf den ersten Blick vielleicht unsinnig erscheinen mag, auf den zweiten Blick mir jedoch eine neue Perspektive erlaubt.

Fatal daran

Kleine Kinder können das alles. Bereits Dreijährige wenden im Spiel und Alltag komplexe mathematische Operationen wie beispielsweise das Dividieren an (wenn sie ihre Pausenverpflegung unter Vielfache teilen, Reste von XY berechnen etc.), auch wenn sie laufend und mehrfach scheitern. Jedoch: Genau hier beginnt lernen.

Oder sie machen Zeichnungen in einem Strich, über die viele Erwachsene einfach nur staunen. Und auch hier geht es nicht um das hundertfache Üben und Nachahmen, sondern darum, auszuprobieren, zu experimentieren und um immer wieder lachend zu scheitern, nur um gleich wieder neu zu beginnen. Und dazu singen sie den ganzen Tag, denn intuitiv wissen die Kleinen, dass Singen Freude bereitet. Jahre später erinnern wir uns wehmütig daran, wie viel wir gesungen haben, wie gut das getan hat und dass wir irgendwann gelernt haben, dass das entweder ein Indikator für Promille oder für Unfähigkeit ist.

Scheiternd lernen

Kinder blicken in der Regel mit Freude auf Neues und sind – solange sie nicht von Bewerten, sinnfremdem Messen und Urteilen gestört werden - intrinsisch motiviert, auszuprobieren. Dabei erlernen sie neue Fähigkeiten auf spielerische Art und Weise und iterativ. Sie denken nicht: Ich muss das jetzt sofort können, sonst bin ich wertlos. Sie greifen sich einen Stift und beobachten neugierig, welche Formen und Bilder sich kreieren lassen. Oftmals scheinen sie dabei intuitiv vorzugehen und mit ihrem ganzen Körper und all ihren Emotionen präsent bei der Tätigkeit zu sein. Dabei sind alle Sinne zum Lernen geöffnet. Spätestens in der Schule lernen Kinder dann, dass Fehler und Scheitern schlecht sind. Dass es darum geht, keine Fehler zu machen. Denn ihre Fehler werden ihnen über Jahre hinweg mit Rotstift angestrichen, wie ein Leuchtsignal der eigenen Inkompetenz mit dem Hinweis: „Vermutlich bin ich eigentlich ziemlich dumm. Ich hoffe bloss, dass das niemand merkt!“

Schöner und heiter scheitern - ein Ansatz

Doch was würde passieren, wenn wir wieder in den Entdeckerdrang eines Kindes eintauchen könnten – samt dem Geschenk des Trial and Error? Wenn wir ohne theoretisches Konzept und durch Ausprobieren an unser Tun heran gingen? Wie beim Laufen lernen, Fahrrad fahren, Sprechen lernen, Greifen u.v.a.m.

Schauen wir doch beim Laufen lernen einmal genauer hin: Durch jeden Sturz und jedes erneute Aufstehen haben wir als Kleinkind unsere Technik verfeinert, individualisiert und unsere Muskeln gestärkt. Und ohne Lehrplan, Curriculum, Lektionsvorbereitung, didaktische Passung oder auch ohne Lehrerin oder Lehrers haben wir ganz für uns Balance studiert, die Koordination gefestigt und uns selber gelehrt und trainiert. Und das hat Spass gemacht, selbst dann, wenn wir auf den Kopf gefallen sind. Immer und immer wieder sind wir aufgestanden und haben experimentiert. Und gelernt, genau dadurch, dass wir gescheitert sind. Bis wir schließlich kleine Meister*innen im Laufen geworden sind – und sogar rennen und durch den Garten flitzen konnten. Und bevor wir laufengelernt haben, steckten wir alle Gegenstände in den Mund: Schmeckt es? Schmeckt es nicht? Was und warum ist "gruusig" nun wirklich "gruusig"?

Wir MeisterS und Meisterinnen des Scheiterns

So sammelten wir hilfreiche Informationen über unsere Umwelt durch unsere Sinneswahrnehmungen. Und durch das permanente Ausprobieren und Scheitern. Durch Irrtum, "Fehler" und anderem mehr. Dabei waren wir körperlich noch ganz eng verbunden mit der Welt um uns herum. Und wurden so als Kinder Held*innen des Scheiterns, eben weil wir alles ausprobieren und dabei auch scheitern durften. Und weil wir als Kinder eigentlich heiter scheitern, um zu lernen und um nur wieder von neuem zu scheitern.

Facilitation und Scheitern

Facilitation ist sehr eng mit Scheitern verbunden und der Fähigkeit, offen, neugierig und offenen Geistes jeder Gruppe, jedem Team und jedem Unternehmen so zu begegnen, dass Scheitern immer auch möglich ist und dass Erfolg nicht mit Leistung, mit Agenda und anderen "Obszönitäten" des moderierenden Facilitierens verbunden wird. Denn jedeR Facilitator*in hat den Mut, Wahrnehmungen und Intuitionen den Kund*innen zur Verfügung zu stellen, als Möglichkeit, nicht als Wahrheit. Immer mit der Chance, vollkommen daneben zu liegen. Und genau da beginnt Facilitation! Mit unserem Facilitationtraining öffnen wir den Raum dafür, das zu lernen.

Mechtap Dawo und Daniel Osterwalder / Ende Mai 2024

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